Bundestrainer Ritter: „Wir brauchen mehr Events wie ttc“

Worin liegt der sportliche Wert von Stabhochsprungfestivals wie Touch the Clouds? Nachgefragt bei Stefan Ritter, Bundestrainer Stabhochsprung Frauen und Stützpunkttrainer Stabhochsprung Potsdam.

Hey Stefan, wie fällt dein Fazit nach dem Touch the Clouds Festival 2024 aus?

Stefan Ritter: Wir haben hier in Gräfelfing ein super Stabhochsprung-Wochenende erlebt. Das war bei dem Wetter allerdings alles andere als selbstverständlich. Super dass wir an den ersten beiden Wettkampftagen in die Halle ausweichen konnten und dann noch mit den Top-Feldern am Sonntag draußen auf der Black Mamba perfekte Bedingungen hatten – sogar mit Sonnenschein und blauem Himmel. Da ist die erkennbar viele Arbeit, die in der Organisation des Festivals steckt, doch noch belohnt worden.

Und was nimmst du als Frauen-Bundestrainer mit?

Ich bin zufrieden mit unseren deutschen Athletinnen, auch wenn man natürlich aus sportlicher Sicht immer gerne noch die jeweils nächste Höhe mitgenommen hätte. Friedelinde Petershofen von SV Werder Bremen, die bei mir am Stützpunkt in Potsdam trainiert, kommt aus einer langen Verletzung und muss sich erst nach und nach wieder an ihre Bestleistung, die bei 4,55 Meter liegt, herantasten. Da waren 4,21 Meter für sie in Gräfelfing ok, auch wenn sie selbst das vielleicht noch als zu kleinen Schritt versteht. Ella Buchner vom SC Potsdam ist mit 4,06 Meter sicher nicht zufrieden, aber wir haben hier neue Stäbe ausprobiert. Das wollten wir lieber auf einer Anlage dieser Qualität machen als bei den Deutschen Meisterschaften. Anjuli Knäsche hat mit 4,41 Meter einen guten Wettkampf geliefert und ist nur knapp an 4,51 Meter gescheitert. Das ist ein gutes Ergebnis, das sie jetzt mit zur EM in Rom nehmen kann, um dort dann idealerweise Bestleistung zu springen. Gratulation an Olivia McTaggert aus Neuseeland, die mit 4,64 Metern gezeigt hat, wie hoch das Niveau bei Touch the Clouds ist.

Wie schaust du auf die Weltspitze und wo siehst du die Frauen in Deutschland?

Wir haben in Deutschland derzeit nicht die Leistungsdichte, um im internationalen Vergleich dauerhaft vorne mitzumischen, was nicht heißt, dass in großen Wettkämpfen wie EM, WM oder Olympischen Spielen nicht auch mal Top-Platzierungen möglich sein können. Im Nachwuchs erfährt der Stabhochsprung in Deutschland großen Zuspruch. Da sind oft die Veranstalter über die zunehmende Zahl der Meldungen überrascht. Ab der U20 beginnt es allerdings schwierig zu werden. Da kämpfen die Mädels mit Stagnation, verlieren das Interesse oder sind anderweitig durch Ausbildung und Studium so in Anspruch genommen, dass Hochleistungssport für sie nicht in Frage kommt. Da müssen wir entgegenwirken und den Talenten Perspektiven aufzeigen.

Aber wie könnt ihr die schmale Spitze an den Top-Leistungen heranführen?

Da gibt es kein Patentrezept. Leider. Stabhochsprung ist sehr individuell. Da kommt man mit einfachen Rezepten nicht weiter: „Greif höher, nimm einen anderen Stab oder einen bestimmten Anlauf“ funktioniert nicht. Wir müssen mit den Athletinnen immer die für sie jeweils beste Lösung finden. Aber natürlich wäre es da gut, wenn wir mehrere Frauen hätten, die 4,70 Meter springen können und so das Niveau im Training und bei Lehrgängen bestimmen.

Welche Rolle spielen bei der Mobilisierung und Motivierung des Nachwuchses Veranstaltungen wie Touch the Clouds?

Solche Festivals und Events, die im großen Stil Spitzenathleten und den Nachwuchs zusammenbringen, sind enorm wichtig für die Entwicklung unseres Sports. Wenn der Nachwuchs sieht, was die Top-Leute machen und wie sie ihre Wettkämpfe angehen, hat dies eine große Vorbildwirkung. Das ist nicht zu unterschätzen. Leider gibt es gar nicht so viele Frauen, die 4,70 Meter springen können. Ganz anders bei den Männern auf diesem Niveau. Starterfelder mit Athleten, die 5,80 Meter draufhaben, bekommt man viel leichter zusammen und kann so spektakuläre Veranstaltungen auf die Beine stellen. Umso wichtiger sind deswegen breit aufgestellte Events wie das Touch the Clouds Festival in Gräfelfing, um die Breite unseres Sports darzustellen und dies mit Top-Leistungen spannend und spektakulär anzureichern. In Wasserburg, Potsdam, Zweibrücken, Leverkusen oder in Rottach-Egern gibt es weitere herausragende, mit viel Leidenschaft durchgeführte Veranstaltungen. Davon bräuchten wir noch einige mehr.

Was macht für Euch als Trainer und Sportler die besondere Faszination solcher Events aus?

Sportler und Zuschauer kommen sich beim Stabhochsprung so nah wie in kaum einer anderen Sportart. Das spürt man besonders intensiv bei Stegspringen in den Städten oder eben beim ttc-Festival, wenn zwischen der Anlaufbahn und der Anlage die Zuschauerbänke gerade einmal drei Meter Abstand haben. Da springt der Funke ganz schnell über.

Wird eine solche Nähe den Athletinnen und Athleten dann nicht ganz schnell zu viel in ihrer Konzentration?

Im Gegenteil. Eine gute Stimmung überträgt sich schnell. Die Athleten mögen es, wenn die Leute rhythmisch klatschen und die Bässe bei lauter Musik wummern. Friedelinde sagte eben, sie hätte die Tartan-Bahn unter sich vibrieren gefühlt. Atmosphäre erzeugt Leistung. Davon profitieren am Ende alle. Gräfelfing hat da an diesem Wochenende wieder einmal einen tollen Job gemacht. Ein weiterer guter Impuls ist gesetzt. Das ist Werbung für unseren Sport. Nun kommt es darauf an, was wir im Stabhochsprung der Frauen daraus machen. Das ist aus den genannten Gründen kein einfacher Weg und bedarf noch vieler Anstrengungen. Aber wie ttc gezeigt hat, es lohnt sich.

Foto: DLV